Los Angeles - New York per Rad

Hazard - Damascus - Lexington - Richmond - Williamsburg - Fredericksburg - McClean

Virginia Welcomes You!
Wir fühlen uns angesprochen und laden euch ein, uns noch einmal auf unserer Tour  Gesellschaft zu leisten. In keinem anderen Staat halten wir uns länger auf als hier in dieser geschichtsträchtigen Gegend, der Heimat vieler ehemaliger Präsidenten der USA, dem Schauplatz unzähliger Schlachten während des amerikanischen Bürgerkriegs, dem Sitz alter Tabakplantagen mit wunderschönen Herrenhäusern. Und was für uns fast ebenso wichtig ist, aber natürlich der neueren Geschichte angehört: Das kleine Städtchen Yorktown, wo 1781 der Friedensvertrag mit England unterzeichnet und die Unabhängigkeit der USA definitiv besiegelt wurde, ist der Anfangs- oder Endpunkt (je nachdem an welcher Küste begonnen wird) der klassischen Transamerika Veloroute, welche im Jahr 1976 zur Feier der 200-jährigen Unabhängigkeit der USA eröffnet wurde. In Yorktown, Virginia wollen wir unsere Velopneus mit euch zusammen in die Wellen des Atlantiks tauchen.

Ready? Go!

Wie frisch geschlüpfte Meeresschildkröten zieht es uns mit aller Kraft Richtung Meer. Nicht etwa, weil wir uns vor gierigen Raubvögeln oder uns verfolgenden Hunden fürchten, sondern weil wir die Ostküste, einen weiteren Fixpunkt unserer Reise, endlich erreichen wollen. Unsere Tagesetappen werden jeden Tag etwas länger, bereits können wir das Wasser riechen… Wie ist das möglich? Vor uns liegen doch noch eine Bergkette und 900 Strassenkilometer. Es ist die hohe Luftfeuchtigkeit, welche unsere Sinne täuscht. Am Morgen starten wir im dichten Nebel und tragen unsere neongelben Leuchtwesten. Um 7 Uhr ist es bereits 25 Grad warm, es tropft von den Bäumen, wir wähnen uns im tropischen Regenwald. Es scheint, als würden sogar die Telefon- und Strommasten zu spriessen anfangen und wuchernde Schlingpflanzen machen uns den Seitenstreifen auf der Strasse streitig. Das Vogelgezwitscher tönt exotisch, der rote Kardinal, Staatsvogel Virginias und wunderhübsch anzusehen, begleitet uns täglich, ist aber extrem kamerascheu. Wir bemühen uns, die jeweilige Tagesetappe rechtzeitig zu beenden und eine feste Unterkunft zu suchen, damit wir das allabendliche Hitzegewitter mit sintflutartigem Regen vom Trockenen aus beobachten können.

Irgendwann erreicht auch uns die richtige Regenfront. Es tröpfelt, es plätschert, es giesst wie aus Kübeln. Keine Regenjacken und keine Plastiksäcke schützen uns mehr vor dem warmen Nass. Wo wir auch Schutz vor den Regenmassen suchen, hinterlassen wir Pfützen, nasse Stühle und leere Papierserviettenspender. Ganz spontan entscheiden wir uns für ein Alternativprogramm. Halbtagestour und Frisörbesuch. Die Coiffeuse verzichtet aufs Waschen unserer Haare, da die vom Regen bereits weich gespült sind, und verpasst uns einen Scherenschnitt, der einem grossen Figaro kaum zur Ehre gereichen würde. Vor lauter Verwunderung über den Preis von $30 für uns beide, inklusive 20% Trinkgeld versteht sich, vergessen wir völlig, Beschwerde beim Coiffeurmeisterverband einzureichen. Das alles widerfährt uns in Damascus, einer aussergewöhnlichen Stadt mitten in den Hügeln der Appalachen. Hier kreuzen sich SIEBEN verschiedene Wander- und Velorouten. Die bekannteste ist wohl der „Appalachian Trail“, der längste und anstrengendste Fernwanderweg der Welt, 3'500 km lang. Er führt von Georgia durch insgesamt 14 amerikanische Staaten bis nach Maine, und es dauert etwa 5 Monate, um den ganzen Trail zu durchwandern, wobei auch öfters Flüsse durchquert und umgestürzte Bäume überstiegen werden müssen. In Damascus also, der Kleinstadt, in der es mehr Outdoor-Läden als Antiquitäten-Geschäfte, keine Motels, sondern nur Bed and Breakfasts oder Massenlager gibt, wo in den Restaurants an erster Stelle auf der Speisekarte „Spaghetti à discretion“ steht, wo es den Wanderern im Waschsalon per grossem Plakat an der Wand verboten ist, ihre Schlafsäcke im Innern der Räumlichkeit auszuschütteln, hier treffen wir die richtig harten Typen:

Die Wanderer, die ihre ganze Ausrüstung auf dem Rücken über Stock und Stein tragen, die fast jede Nacht in einem Unterstand im Wald übernachten, die ihr Trinkwasser aus Bächen abfüllen und ihre Mahlzeiten am offenen Feuer kochen, die alle einen Spitznamen tragen, mit dem sie sich in den „Hüttenbüchern“ eintragen, die keine Laptops oder I-Phones mitschleppen, da sie in den riesigen Wäldern sowieso keinen Internetzugang haben, die wochenlang vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen…

Hier in Damascus fühlen wir uns privilegiert und als richtige „Softies“, weil wir uns zum Essen an einen Tisch setzen und jeden Tag duschen können, vor allem aber, dass wir einen fahrenden Untersatz haben, der sogar unsere Habseligkeiten trägt und uns nach dem „Bergauf“ das „Bergab“ doch sehr erleichtert.

Es gibt drei Fragen, die sich der Tourenfahrer jeden Tag aufs Neue stellt:

  • Welche Route wähle ich?
  • Wie verpflege ich mich?
  • Wo übernachte ich?

Für den weiblichen Teil des velofahrenden Schweizer Paares hat die Beantwortung der dritten Frage („multiple choice“ mit den Varianten 1 richtig, 2 richtig, alle richtig) absolute Priorität.
Die Antwort ist einfach:
a) Zelt, b) Motel, c) Bed and Breakfast, d) andere

Martin wählt a) wenn: es 1. nicht regnet, 2. der Campingplatz eine Duschgelegenheit hat und 3. eine Verpflegungsmöglichkeit zu Fuss erreichbar ist. Annegret ist weniger heikel und wählt immer b) oder c).

Aber was tun, wenn in Ermangelung der Möglichkeiten a), b), c) nur noch die Antwort d) richtig ist?

In diesem Fall stehen uns an bestimmten Orten die Kirchentüren offen. „Cyclists Only Lodging“ nennt sich dieser Ort der Nächstenliebe, welcher ausschliesslich dem erschöpften Tourenfahrer zur Verfügung steht. Manchmal ist es der Rasen- oder gedeckte Picknickplatz hinter oder neben der Kirche, der zum Campieren benutzt werden kann, manchmal bringen Kirchgemeindemitglieder etwas zum Essen vorbei, wenn man sich angemeldet hat, und manchmal geniesst man auch den Luxus des offenen Kirchgemeindehauses mit gefülltem Kühl- und Vorratsschrank, Kaffeemaschine, Dusche und WC und einer Schlafgelegenheit im klimatisierten Mehrzweckraum. Dass wir diese Art der Übernachtung vorzugsweise den jungen, mit schmalem Budget reisenden Kolleginnen und Kollegen überlassen, versteht sich von selbst, denn die Methodisten, Baptisten, Presbyterianer verlangen ausser einem Eintrag ins Gästebuch keine Übernachtungsgebühr, es sei denn, man füttere das aufgestellte Sparschwein mit einem freiwilligen Beitrag.

Newbern, Virginia! Sauber und herausgeputzt präsentiert sich uns dieses Kleinstädtchen. Das Museum ist geöffnet, der freiwillige Mitarbeiter der historischen Gesellschaft zu Tränen gerührt über den Besuch der Schweizer aus dem richtigen Bern. Die persönliche Führung durch die bescheidenen Räumlichkeiten des Hauses des Stadtgründers ist uns garantiert. Doch nirgends finden wir das geringste Anzeichen, dass die ersten Siedler ehemalige Schweizer gewesen sind, kein Berner Wappen, keine Schweizer Familiennamen, nirgends auch nur das kleinste Bärchen… Wie auch! Der Gründervater der Stadt war ein Elsässer. Woher der Name New Bern kommt, kann uns unser Betreuer auch nicht sagen. Vielleicht weil New York, New Hampshire etc. schon anderweitig vergeben waren?

Am 13. Juli ist es dann endlich soweit. Die letzten Berge sind überquert, die Herrschaftssitze aus dem 18. und 19. Jahrhundert besucht, die Informationstafeln auf den ehemaligen Schlachtfeldern der amerikanischen Kriege gelesen. Wir erreichen die Atlantikküste in Yorktown, Virginia. Die kleine Dose mit weissem kalifornischen Sand und das Fläschchen Pazifiksalzwasser, mehr als 7'000 km über den Kontinent gefahren und gehütet wie den eigenen Augapfel, können wir hier ausschütten: ein weiteres Zwischenziel ist erreicht.

Ab jetzt führt unsere Route hauptsächlich Richtung Norden. Wir freuen uns auf das Wiedersehen mit Pierre, den wir am 26. Mai beim Frühstück in Kansas kennengelernt haben. Pierre hat die Transamerikaroute per Velo in 50 Tagen und solo von Ost nach West absolviert und ist der einzige Schweizer Tourenfahrer, den wir auf unserer Reise getroffen haben. Pierre wohnt mit
seiner Familie seit 4 Jahren in der Nähe von Washington D.C. und hat uns damals, als wir tief in der „Kansas-Krise“ steckten, eingeladen, ihn auf unserem Weg von Yorktown nach New York zu besuchen . Unterdessen sind wir uns schon einiges an Gastfreundschaft und Spontaneität gewöhnt. Dass wir aber von Pierre und Véronique und ihren Kindern Jil und Ewan mit so viel Herzlichkeit verwöhnt würden und zwei Tage lang wie alte Freunde an ihrem Familienleben teilhaben dürften, hätten wir nie erwartet. Ist es verwunderlich, dass uns nach Sightseeing rund ums Weisse Haus, einer reizenden musikalischen Aufführung der Kinder als Abschluss ihres Sommerferienkurses, gemütlichen Familienmahlzeiten und Spiel und Spass im Swimming Pool, der Sinn nicht mehr unbedingt nach Pedalen, Schwitzen und Keuchen bei über 40 Grad Celsius im Schatten steht?

Ebenfalls in Washington erwartet uns eine weitere Überraschung: Anita und Beat machen auf ihrer Ferienreise von New York nach Miami wegen uns einen Abstecher und treffen uns kurzentschlossen bei dem ihnen völlig unbekannten Pierre, der sie seinerseits sehr unkompliziert zum Warten auf seine Terrasse einlädt.

Sechzehn Tage und eintausendvierhundert Velokilometer in Virginia sind uns genug, wenn die Urlaubstage gezählt sind und das
Reiseziel auf der USA Karte nur noch 6 Zentimeter entfernt ist.

See you soon!

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