Los Angeles - New York per Rad

Blythe - Prescott - Sedona - Flagstaff - Cameron - Fredonia

Danke vielmals für eure Mails, die Geschichten aus der Heimat, die Wetterberichte und die weiteren Tipps
und Tricks für die nächsten Wochen. Also, dass ein paar von euch gerne noch etwas mehr Zeit mit den Surfergirls und -boys in San Diego verbracht hätten, ist verständlich - aber wartet’s ab, die Cowboys im wilden Westen, die beim Essen und Tanzen ihren Stetson stets auf dem Kopf behalten (stets-on; darum heisst diese Kopfbedeckung wohl so!), und die etwas älteren Girls, die sich für die samstägliche Country-Night in Honky-Tonk-Town so richtig herausputzen, sind auch nicht ohne.

Wer sich wegen der 48 kg Gewicht unserer Drahtesel Gedanken macht, beruhigen wir an dieser Stelle. Martin läuft belastungsmässig noch lange nicht am Limit, hat er sich doch noch Campingstühle angeschafft, damit wir zwei verwöhnten Warmduscher und Festnetztelefonierer in Ermangelung einer angemessenen Sitzgelegenheit zukünftig nicht mehr auf Leitplanken, im heissen Wüstensand oder hinter einem Toilettenhäuschen picknicken müssen. Allen, die bereits den Kauf eines auf die amerikanische Topographie zugeschnittenen GPS-fähigen I-Phones ins Auge fassen, legen wir die gute, altmodische Strassen- oder Velokarte ans Herz. Die hält den Mund und schickt uns nicht über den nächsten Pass ins Restaurant um die Ecke, kennt keine Handylöcher und ist WiFi-unabhängig.

So, und jetzt fragen wir euch wieder, und nicht nur diejenigen, die bereits hart am Gurten trainiert haben oder gern noch ein paar Schoggi-Eili-Fettpölsterchen loswerden möchten: Habt ihr Lust und Zeit, uns auf unserer Fahrt durch Arizona zu begleiten? Wenn ja, packt die Zahnbürste ein, wir übernachten zusammen auswärts, und, ach ja, auch noch die Badehose und die Ski-Thermo-Unterwäsche und den Sonnenschutz Faktor 50.

Ready? Go!

Unsere Velokarte verrät uns, dass wir während der nächsten 100 Meilen an keinen „Servicestellen“, das heisst kein McDonalds, keine Tankstelle, kein Migros oder Coop, kein weiches Hotelbett mehr vorbeikommen werden. Das sind für uns zwei ganze Velotage. Also decken wir uns im letzten Supermarkt vor dem „Nichts“ mit Sandwichbrötchen, Trockenfleisch, Bananen, Farmer-Stängeln, Orangensaft, Coca-Cola und Powerade in verschiedenen Farben (!) ein. Halt! Und wo, bitte schön, befestigen wir jetzt noch 4 Gallonen Wasser (immerhin fast 16 Liter) an unseren Lasteseln? Etwas schwankend, und das nicht nur wegen der 46 Grad Celsius, fahren wir los, immer gegen Osten, den etwas kühlenden Wind gegen uns im Gesicht. Vieles ist nur Kopfsache, sagt man - auch
etwas Beinarbeit natürlich, sagen wir. Ein Campingplatz, endlich! Ein Campingplatz ohne Wasser und Strom, für Profi-Camper, Hightech Wohnmobile, ausgerüstet mit Generator, eingebauter Dusche, Klimaanlage und Kühlschrank, Musikanlage, komfortablen
Tischen und Stühlen, logisch, nicht Amateur-Zeltler wie wir, denn wie verankert man ein Zelt im Wüstensand? Antwort: wir entscheiden uns für eines der vielen Plumpsklo-Häuschen, stellen unsere Velos in den Vorraum desjenigen und machen uns daran, die alte, schon lange unbenutzte, im Wüstensand versinkende Strasse etwas weiter zu demontieren, das heisst, grössere Steine an die Zeltschnüre zu binden, damit unser einfaches Zuhause für eine Nacht im starken Wind nicht davongeweht wird. Ein spannender Tag, wir lernen zwei Dinge:

1. Annegret lernt mit 2 Litern Wasser zu duschen (unter Assistenz von Martin)

2. Martin lernt mit einem dreirädrigen Dünenbuggy (so eine Art Quadbike) zu fahren (unter Assistenz von Dennis, Steve und Ray, die uns dann auch gleich noch zu einem EISKALTEN Bier aus ihrer Hightech-Kühlbox einladen). Ob die Spuren, die wir am nächsten Morgen im Sand um unser Zelt herum finden von Geckos, Taranteln, Känguruhratten, Klapperschlangen oder doch von Kojoten stammen, wollen wir eigentlich gar nicht so genau wissen. Ihr etwa?

Der nächste Tag bringt einen Hitzerekord (47° C), eine Weiterfahrt auf der perfekten Strasse durch fantastische Wanderdünen und entlang eines kilometerlangen Zauns, der unter anderem eine Goldmine absperrt, wo heute noch täglich über 10 kg Gold abgebaut werden, den Blick auf die dunkelbraunen Chocolate Mountains und eine Übernachtung bei Nancy, die uns zum Baden im Colorado River mitnimmt und uns vegetarisch bekocht. Diesen Colorado überqueren wir dann auch, nicht etwa schwimmend, sondern auf dem vom Verkehr abgetrennten Fussgängerweg fahrend, und sind in ARIZONA.

Seid ihr noch dabei und staunt mit uns über die karge, trockene Landschaft und die armlosen bis mehrarmigen Saguaro-Kakteen, die 50-60 Jahre alt werden müssen, bis ihnen das erste Mal ein Arm wächst und die es bis sechs Jahre ohne Wasser aushalten können? Zu dieser Fähigkeit haben wir es noch nicht gebracht, gönnen uns nicht nur Wasser, sondern in der staubigen Einsamkeit auch täglich eisgekühltes Coca-Cola!!! Siehe unter Tipps und Tricks (danke Eveline und Bruno): 40° C heisses Coca plus Eiswürfel aus der Thermosflasche (2 Tage haltbar!) Achtung, hier verlassen wir die geplante Route und machen einen Abstecher nach Sedona ins Gebiet der Red Rocks (Tipps und Tricks: danke Wali und Brigitte). Was für Automobilisten so leicht in 2 Stunden zu schaffen ist, erledigen wir in einem Tag: 100 km, 1300 Höhenmeter, ein Pass inklusive Abfahrt in Serpentinen und dann der Spaziergang mit Blick auf die roten Felsen in der Abendsonne, noch viel schöner als romantisch und kitschig zusammen. Jeder Schweisstropfen hat sich gelohnt. Wieder einmal überhören wir alle Warnungen der Einheimischen, die uns sogar auf der Strasse anhalten und uns vor der
Weiterfahrt warnen: zu enge Kurven, zu schlechte Strasse, kein Seitenstreifen, zu steil usw. Sogar Annegret, die noch keine wirkliche Schweizer Passfahrt im Palmares aufweist, schafft es bis nach Flagstaff.

Ein paar Kilometer auf der legendären Route 66 gefällig? Oder doch lieber wieder einmal ein Znacht in einem richtig guten Restaurant? Wir entscheiden uns für beides. Der Gegenwind versucht vergeblich, die Weiterfahrt zum Grand Canyon zu stören. Wir
erreichen unser erstes grosses Zwischenziel. Und ihr seid dabei, wenn uns die Worte fehlen, um dieses grandiose Wunder der Natur zu beschreiben. Viele von euch haben es bereits selber erlebt, dieses Staunen und „Sich-klein-und-unbedeutend-fühlen“, diese Farben, hundertmal fotografiert und doch nie so kräftig und beeindruckend wie in Natura. Wir können uns nicht sattsehen, fahren anstatt mit dem Bus mit den Velos auf der für Privatautos gesperrten Strasse und halten an jedem einzelnen Aussichtspunkt. Wir bleiben noch einen Tag länger und übernachten anstatt nochmals in der bereits ausgebuchten, luxuriösen, komfortablen Lodge auf dem Zeltplatz. Haben wir ahnen können, dass das Thermometer bei sternenklarer Nacht auf -5° Celsius sinkt? Wir sind uns
seit Wochen 30 Grad und viel mehr gewöhnt! Ihr sagt: „Kein Problem“, wir klappern mit den Zähnen und sagen: „ Unsere
Schlafsäcke sind nur für Temperaturen bis zum Gefrierpunkt konzipiert“. Alles bereits vergessen. Wir erleben nämlich
etwas Einmaliges, Unverhofftes, Zu-Tränen-Rührendes. POST AUS DER HEIMAT. Nichts Elektronisches, sondern ein Brief,
handgeschrieben, auf dem Couvert steht: To Mister + Mrs. Martin + Annegret Walther, Swiss Cyclists on the way from L.A.
to New York. Falls euch die Geschichte interessiert und ihr noch nicht genug vom „Velölen“ habt, fahrt mit uns nach Cameron, AZ. Wohin? Martin sagt: „irgendwo im Gjätt usse“; Annegret sagt: “total im Güggehüü“; die Amerikaner sagen: „in the middle of nowhere“.

Eveline und Bruno haben uns gebeten, Tom, dem Mann von der 1. Tankstelle an der Kreuzung in Cameron einen Gruss auszurichten, denn bei dem hätten sie letztes Jahr auf einem kleinen Rasenplatz gezeltet, und der sei ein Original, und der hätte einen tauben Rottweiler… Staubig, verschwitzt, mit 100 km alles gegen den Wind in den Beinen, klopfen wir endlich an Toms Tür. Wir werden begrüsst wie lang, lang erwartete Bekannte, hütet Tom doch schon seit Anfang April eben diesen Brief für uns und hofft und hofft, dass er uns nicht etwa verpasst, wenn er seinen täglichen Verpflichtungen nachgeht. Happy End!

Arizona, Grand Canyon State, Painted Desert, Sonne, Kakteen, Wüste, rote Felsen in allen Schattierungen. Wir sind fasziniert, beeindruckt, überwältigt. Ihr auch?

Wenn ihr mögt, fahren wir schon bald zusammen durch den Staat Utah. Lasst es uns wissen, ob ihr wieder dabei seid. Und als kleine Denksportaufgabe das hier: Martin kreiert für die Beschreibung der Beschaffenheit des Strassenbelags folgende
Abkürzungen: BFF, UHM, ÖZD. Könnt ihr euch vorstellen, was sie bedeuten? Wir sind gespannt auf eure Vorschläge!

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